Ikonenschreiben - Gottes Werk
Ikonen sind mehr als nur religiöse Bilder; sie gelten als „Fenster zum Himmel“, durch die das Heilige für den Menschen sichtbar wird. In der christlichen Tradition des Ostens werden Ikonen nicht „gemalt“, sondern „geschrieben“, denn sie vermitteln das Wort Gottes auf visuelle Weise, so wie es die Heilige Schrift durch Text tut.
Jede Farbe, jede Geste und jedes Element einer Ikone hat eine tiefe theologische Bedeutung. Der wahre Autor einer Ikone ist Gott. Der Ikonograph ist lediglich ein treuer Abschreiber, so wie die Mönche des Mittelalters die Heilige Schrift abgeschrieben haben. Er oder sie schafft nicht etwas Neues, sondern stellt eine ewige Realität wieder her und dient als Instrument für die Übermittlung der göttlichen Offenbarung durch die heilige Kunst.
Ikonen sind nicht nur Objekte der persönlichen Verehrung; sie sind Teil der Liturgie und des Gebetslebens der Kirche. Die Gläubigen, die eine Ikone betrachten, schauen sie nicht nur an, sondern stehen vor Gott und den Heiligen, die auf ihr dargestellt sind, und erleben eine tiefe geistliche Begegnung.
In diesem Sinne können wir uns nun mit dem symbolischen Reichtum der Ikone der Muttergottes von Tschenstochau beschäftigen, einer der am meisten verehrten Darstellungen der Mutter Gottes.
Maria, die Mutter, die zu Christus führt
Die Ikone von Tschenstochau zeigt die Gottesmutter, die das Jesuskind auf dem linken Arm hält, in dem ikonografischen Stil, der als Hodegetria - die Wegweisende - bekannt ist. Maria weist den Weg zu Jesus, indem sie mit ihrer rechten Hand auf Ihn zeigt, als wolle sie sagen: „Was er euch sagt, das tut!“. Ihre offene, nach oben gerichtete Hand symbolisiert die totale Hingabe und das absolute Vertrauen in Gott.
Eine umgekehrte Perspektive - der Blick von Maria und Jesus
Die Ikone zeigt die sogenannte umgekehrte Perspektive, die für die östliche ikonographische Tradition charakteristisch ist. Bei dieser Technik beobachtet nicht der Betrachter Maria und Jesus, sondern sie schauen ihn an. Dieser tiefe Blick lädt zu einer persönlichen und spirituellen Begegnung ein und durchdringt die Seele eines jeden, der dieses Bild anschaut.
Farben und Symbolik der Heiligen Dreifaltigkeit
Der Hintergrund der Ikone ist grün, eine Farbe, die aus der Kombination von Blau und Gelb entsteht und die Gegenwart der Heiligen Dreifaltigkeit symbolisiert. Die zentrale Aussparung der Ikone ist goldfarben und führt zur Transzendenz.
Maria als neue Bundeslade
Der vertiefte Mittelteil, die so genannte Covchège, stellt die Bundeslade dar, den Ort, an dem Gott im Alten Testament Seine Gegenwart offenbarte. Diese Lade symbolisiert Maria als die neue Bundeslade, weil Gott selbst in ihr gegenwärtig war. Gleichzeitig schafft die Aussparung in der Ikone ein Fenster zum Himmel, einen heiligen Raum, in den die Gläubigen eingeladen sind, geistig einzutreten und das göttliche Geheimnis zu betrachten.
Die königlichen Gewänder der Königin des Himmels
Maria ist in einen Mantel aus Indigo gekleidet, einer tiefen Granatfarbe, die Spiritualität und Treue symbolisiert. Das rote Futter des Gewandes weist darauf hin, dass sie sich in Christus gekleidet hat, und die goldene Spitze erinnert an ihren Titel als Königin. Im Kloster Jasna Gora befinden sich neben der Ikone die Insignien der königlichen Macht, die Maria von König Johann Kasimir von Polen verliehen wurden, der sie zur Königin von Polen ernannte. Wertvolle Kronen und Gewänder, die im Laufe der Jahrhunderte hinzukamen, wurden von mehreren Päpsten gestiftet, darunter auch vom heiligen Johannes Paul II, einem glühenden Verehrer der Muttergottes von Tschenstochau.
Symbolik der Sterne und Lilien
Auf Marias Mantel befinden sich goldene Lilien, Symbole der Unschuld, Reinheit und Mutterschaft. Ihr Mantel ist mit drei Sternen geschmückt: einer auf ihrer rechten Schulter (als Symbol für ihre Jungfräulichkeit vor der Geburt Jesu), ein weiterer auf ihrer Stirn (während der Geburt) und ein dritter auf ihrer linken Schulter (nach der Geburt). Das Jesuskind, das auf Marias linker Schulter getragen wird, nimmt die Rolle des dritten Sterns ein und bestätigt damit, dass es die Frucht ihres jungfräulichen Schoßes ist.
Licht der Gnade und keine Schatten
Die Ikone enthält keine Schatten oder Grautöne, da Grau die Sünde symbolisiert. Die Farben werden nach und nach verwendet, von den dunkelsten bis zu den hellsten, was die Wirkung der Gnade Gottes widerspiegelt, die zum Licht führt und die Sünde vertreibt.
Die leidende Mutter und das verwundete Gesicht Mariens
Das auffälligste Merkmal der Ikone sind die Wunden auf Marias Gesicht. Im 15. Jahrhundert griffen Häretiker das Kloster Jasna Gora an und entweihten die Ikone, indem sie die Mutter Gottes mit Säbeln schlugen. Die auf Geheiß von König Władysław Jagiełło durchgeführten Restaurierungsarbeiten sollten diese sichtbaren Narben als Zeugnis für die Mutter, die das Leid ihres Volkes teilt, erhalten. Dieses Merkmal wird zu einem starken Identifikationspunkt für die Gläubigen, die vor der Ikone oft die Gewissheit haben, dass Maria ihr Leiden versteht und mit mütterlicher Zärtlichkeit für sie eintritt.
Jesuskind - König und Erlöser
Das Jesuskind, das auf der linken Schulter Marias sitzt, streckt Seine rechte Hand zum Segen aus. Seine Finger bilden das traditionelle Zeichen der byzantinischen Tradition: Die drei erhobenen Finger symbolisieren die Heilige Dreifaltigkeit, während die beiden zusammengelegten Finger auf seine menschliche Natur hinweisen. Diese Geste bestätigt, dass Jesus der dreifaltige Gott und gleichzeitig ein wahrer Mensch ist.
In Seiner linken Hand hält Jesus ein Buch der Heiligen Schrift, das in zwei Teile geteilt ist: Altes und Neues Testament. Dieses Detail unterstreicht, dass Er das fleischgewordene Wort ist, das Wort Gottes, das Fleisch geworden ist.
Der Junge trägt eine rot-scharlachrote Tunika, eine Farbe, die mit dem Königtum assoziiert wird, und ist mit goldenen Details verziert, die Seinen Titel als König des Universums unterstreichen.
Auf dem Nimbus (Heiligenschein) Christi befinden sich ein Kreuz und die griechischen Buchstaben für „Er, der ist“, der göttliche Name, der Moses offenbart wurde (Exodus 3,14). Dieses Element unterstreicht, dass das Kind in Marias Armen Gott selbst und der gekreuzigte Erlöser ist.
Ikone als „Fenster zum Himmel“
Die Heiligenscheine von Maria und Jesus sind reliefartig und mit Gold überzogen und symbolisieren Heiligkeit, Unzerstörbarkeit und Ewigkeit. In der christlichen Tradition des Ostens ist jede Ikone nicht nur ein heiliges Bild, sondern eine lebendige Präsenz der göttlichen Wirklichkeit.
Im Osten gibt es keine „Kopien“ von Ikonen, denn das Original ist kein physisches Bild, sondern die Mutter Gottes und der Herr Jesus selbst. Auf diese Weise wird jede geweihte Ikone, die nach den alten Kanones geschrieben wurde, zu einem „Original“, zu einem wahren Fenster zum Himmel.
Es gibt auch eine besondere Tradition, die neue Ikone dem wundertätigen Original näher zu bringen - eine Geste, die „Kuss der Liebe“ genannt wird, ein Symbol für die Vereinigung der Bilder. Die Pilgerikone „Von Ozean zu Ozean“ wurde diesem Ritus unterzogen und am 28. Januar 2012 im Kloster Jasna Gora in Częstochowa feierlich geweiht.